"ES trifft es nicht nicht": Das Gendern in der IT aus sprachwissenschaftlicher Perspektive: Instanzen - Limitierungen - Probleme - Lösungsansätze
Wie repräsentiert man eine gefühlte Mehr- oder Verschiedenteiligkeit in einem Sprachsystem, das aus sprachhistorischen Gründen zu einem naturgeschlechtlichen Binärsystem herangewachsenen ist? Diese und viele weitere Fragen bleiben weiterhin unbeantwortet.
Ein Junge heißt er, ein Mädchen heißt sie, ein Stein heißt es. Doch wie nennt man einen heranwachsenden oder erwachsenen Menschen, der sich weder wie ein Er fühlt noch wie eine Sie? Ein Es? Aus offensichtlichen Gründen kann dies wohl kaum die Antwort sein. Allein, wie lautet die Antwort? Ein viertes Genus? Ein Dual? Partizipialitis? Ein Doppelpunkt? Ein sprachphilosophischer Essay von Christian Spaan.
Instanzen
Schreibt man Freundinnen, FreundInnen oder doch lieber Freund:innen? Sagt man Studierende oder Student:innen? Und wieso braucht es all dies überhaupt? Schließlich versteht jedes Kind, das seine Freunde sowohl männlicher als auch weiblicher Natur sein können. Das gleiche gilt später für die Kommilitonen. Und noch später für die Kirche. Wieso muss dies also eigens betont werden? Wir sprechen ja auch nicht von Gläubig:innen.
Limitierungen
Die deutsche Sprache kennt wie die englische Sprache drei grammatikalische "Geschlechter": männlich (m), weiblich (f) und sächlich (n). Ein Geschlecht namens "Irgendwas Anderes" oder "Irgendwas dazischen" hat uns unglücklicherweise weder die englische noch die deutsche Sprache beschert. Ein grammatikalisches Geschlecht namens divers (d) gibt es schlicht und ergreifend nicht. Zumindest nicht in heutzutage etablierter Standardsprache. Und dazu zählen smarte Busdisplays eben längst noch nicht. Was bedauerlich ist, denn dort ist dieses Problem bereits gelöst: Mitarbeiter gesucht (m/w/d)
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Mit anderen Worten: Weder die englische noch die deutsche Standardsprache stellt uns ein natives Mittel zur Repräsentation dessen bereit, was wir heute Diversität nennen. Und das ist ein Problem.
Probleme
Eines der Phänomene, in dem sich diese Problematik manifestiert, ist der hilflos wirkende Versuch, das fehlende Gefühlte Geschlecht - wie auch immer man dieses nennen will - durch die Umschreibung via Personalpronomina zu repräsentieren: He/him & She/her
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Dabei wird freilich verkannt, dass auch dies ein binärer Ansatz ist, der zur Repräsentation einer trinären Identität denkbar ungeeignet ist: He/him & She/her
auf der einen Seite - m/w/d
auf der anderen. Ein Problem, das die deutsche und vor allem die englische lingua franca der IT standardprachlich noch nicht zu lösen vermag.
Lösungsansätze
Quo vadis, lingua? - könnte man also fragen. Die Duden-Redaktion überreden, divers (d) als viertes grammatikalisches Geschlecht anzuerkennen? Den Numerus des Duals nutzen wie die alten Griechen (Einzahl - Zweizahl - Mehrzahl)? Ein Kunstwort etablieren: Er/Sie/Hurz? So oder so ist das Pergament der Sprache geduldig: Wer von Days träumt, wird diese bestenfalls durch Decades ersetzen müssen, bis sich ein sprachlicher Standard etabliert haben wird.
Also warum so eilig? Seien wir doch einfach nett vornehm zueinander und harren unterdessen der Dinge, die da kommen. Oder wir einigen uns einfach auf Him/Her/Hurz
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