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Der Draghi-Bericht: Wie Europa fit für eine wettbewerbsfähige digitale Zukunft werden kann

Europa steht vor großen Herausforderungen, um in einer sich schnell entwickelnden digitalen Welt, die von den USA und China dominiert wird, wettbewerbsfähig zu bleiben. Der Draghi-Bericht beleuchtet die Abhängigkeit der EU von ausländischen Technologien, die Notwendigkeit von Innovationen und umsetzbare Strategien für den Aufbau einer widerstandsfähigen digitalen Wirtschaft.
In diesem Beitrag gehen wir auf die wichtigsten Erkenntnisse des Berichts ein, beleuchten die drängenden Probleme und erörtern, was sie für die Technologiebranche und die digitale Zukunft Europas bedeuten.
Ein 🇬🇧 Bericht von Nina Müller von Nextcloud
Übersetzung von Christian Spaan

Mario Dragi - unter anderen Präsident der EZB - sagte in seinem mittlerweile Draghi-Report genannten und für die Europäische Union angefertigten Bericht vom September 2024:

Wir müssen unser Innovationspotenzial freisetzen. Das ist der Schlüssel, um nicht nur bei neuen Technologien führend zu sein, sondern auch um KI in unsere bestehenden Industrien zu integrieren, damit sie an der Spitze bleiben können.
 🗨 Mario Draghi

Im September 2024 veröffentlichte die Europäische Union einen Bericht von Mario Draghi, in dem die Wettbewerbsfähigkeit Europas und seine zukünftigen Fähigkeiten und Chancen im Wettbewerb hervorgehoben werden. 1

Der Hauptgrund für die Erstellung des Berichts war die Sorge, dass Europa im Vergleich zu anderen Akteuren in seiner wirtschaftlichen Entwicklung und seinem Wachstum zu langsam ist: "Die EU ist schwach bei den neuen Technologien, die das künftige Wachstum antreiben werden.

In einer Welt, die zunehmend von Unsicherheiten geprägt ist, bedeuten wirtschaftliche Stabilität und Wachstum für Europa die Fähigkeit, seine eigenen Entscheidungen zu treffen. Die Souveränität, auf die wir drängen, wird verloren gehen, wenn wir nicht in der Lage sind, die systemischen Probleme zu lösen, die uns zurückhalten, und Europa dem Willen und der Willkür des Techno-Imperialismus anderer Länder ausgesetzt ist.

Diese Fragen treiben uns bei Nextcloud seit zehn Jahren um, und wir haben den Bericht mit größter Aufmerksamkeit gelesen, fragen uns aber, wie viel davon tatsächlich verwirklicht werden wird.

Der Bericht enthält eine umfassende Analyse dessen, woher die EU kam und wohin sie sich entwickelt. Er skizziert die Grundprinzipien und zeigt auf, inwiefern sie im derzeitigen Klima geopolitischer Spannungen und eines im Vergleich zu den amerikanischen und chinesischen Märkten geringeren Wirtschaftswachstums bedroht sind.

Der Bericht besteht aus zwei Teilen, die in Strategie und Analysen mit umsetzbaren Empfehlungen unterteilt sind. Teil A bietet einen akribischen Überblick über die Lage Europas, seine bisherige Entwicklung, die Ereignisse, die dazu geführt haben, und die zahlreichen Herausforderungen, denen es sich auf wirtschaftlicher, gesellschaftlicher, digitaler und politischer Ebene stellen muss. Daraus ergeben sich die folgenden drängenden Fragen:

  • Wie kann Europa Wachstum und Innovation fördern und gleichzeitig die Leitplanken für eine sichere und florierende digitale Wirtschaft setzen?
  • Wie kann Europas Unabhängigkeit gesichert und harmonisiert und eine schlanke, aber wirksame Regulierung grenzüberschreitend umgesetzt und durchgesetzt werden?
  • Wie kann Europa ein globaler digitaler Akteur und ein ernstzunehmender Partner sowohl für China als auch für die USA werden?

Diese großen Fragen werden nicht vollständig beantwortet, aber sie geben eine Vorstellung von der großen Bandbreite der Herausforderungen, die vor uns liegen.

Für uns bei Nextcloud bietet der Bericht viele nützliche Einblicke und Herausforderungen, denen sich die europäische Wirtschaft stellen muss, um sich in einem instabilen geopolitischen Klima und einer neuen US-Regierung, die bereits die ersten Schritte unternommen hat, um Amerika an die erste Stelle zu setzen, vorzubereiten und zu positionieren. Auch wenn sich die Empfehlungen an die EU richten, ist einer der wichtigsten Entwicklungsbereiche die Digitalisierung und die Frage, wie Europa angesichts der Hyperscaler aus China und den USA souverän und widerstandsfähig sein kann.

Als Interessenvertreter der Branche liegt unser Interesse darin, zu einer vielfältigen digitalen Landschaft beizutragen, in der ein fairer Wettbewerb gefördert wird und die eine florierende digitale Wirtschaft und ihre faire und zugängliche Entwicklung unterstützt.

Der Bericht nennt die folgenden Punkte als die wichtigsten Herausforderungen für Europa, die von der derzeitigen und der künftigen Europäischen Kommission angegangen werden müssen, um nicht ins Hintertreffen zu geraten und ein wohlhabendes Europa zu schützen:

  1. Digitale Transformation: Die EU ist bei über 80 % der digitalen Produkte, Dienstleistungen, Infrastrukturen und des geistigen Eigentums vom Ausland abhängig. Um jedoch unabhängiger und damit widerstandsfähiger gegen unvorhersehbare geopolitische Veränderungen und Spannungen zu werden, steht die digitale Transformation in allen Sektoren in ganz Europa an. Daher muss die EU:
    1. eine widerstandsfähige digitale Infrastruktur schaffen und fördern
    2. die Cybersicherheit verbessern
    3. die souveräne KI-Entwicklung unterstützen, um die digitale Wettbewerbsfähigkeit Europas zu steigern.
    4. Gerade der IKT-Sektor ist der Schlüssel, um Europas Strategie zur Förderung der Souveränität voranzutreiben, wie z. B. private Cloud-Lösungen, bei denen eine verbesserte Sicherheit und Verschlüsselung erforderlich ist, sowie als Leistungstreiber in anderen Sektoren wie Pharma, Energie oder Verteidigung. Es liegt auf der Hand, dass Nextcloud hier eine Schlüsselrolle spielen kann, da es der Hauptakteur ist, der Microsoft 365 und Google Workspace ersetzen kann, zwei ausländische Plattformen, die derzeit für viele Organisationen in Europa geschäftskritisch sind.
  2. Grüner Übergang: Europa hat die Chance, bei klimaneutralen Technologien und Kreislaufwirtschaften führend zu sein und die Industrie bei der Dekarbonisierung und der Erreichung der Klimaschutzziele zu unterstützen. Da die USA nun planen, aus dem Pariser Klimaabkommen auszusteigen, ist dies wichtiger denn je. Die großen US-Tech-Firmen geben Lippenbekenntnisse zu grüner Technologie ab, aber ihre Investitionen insbesondere in KI zeigen, dass diese Worte oft hohl sind.
  3. Innovation und Forschung: Um Innovationen zu ermöglichen und zu fördern, muss Europa in Forschung und Entwicklung investieren, Innovationszentren unterstützen und die Zusammenarbeit zwischen dem öffentlichen und dem privaten Sektor stärken. Dieser Punkt ist für uns besonders wichtig, da die Hindernisse bei der grenzüberschreitenden Beschaffung und bei Ausschreibungen oft zu kompliziert sind und eine Zusammenarbeit und einen fairen Wettbewerb verhindern. Aber die Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten bei der Anwendung und Durchsetzung der Datenschutz-Grundverordnung erschweren das Experimentieren und die Pionierarbeit mit KI erheblich. Die EU muss die rechtlichen Rahmenbedingungen sehr sorgfältig mit toleranten Regeln ausbalancieren, die Investitionen in Innovationen fördern. Der Weg in die Zukunft ist eine harmonisierte Regulierung, die Überschneidungen zwischen der Datenschutz-Grundverordnung und dem KI-Gesetz beseitigt.
  4. Integration des Binnenmarktes: Wie unter Punkt 3 dargelegt, ist die Beseitigung von Hindernissen innerhalb der EU, um den grenzüberschreitenden Handel zu ermöglichen, den Binnenmarkt effizienter zu gestalten und einen fairen Wettbewerb zu gewährleisten, von entscheidender Bedeutung, um Europa widerstandsfähig zu machen und die Entwicklung und den Erfolg von KMU zu fördern. Die derzeitige Wettbewerbspolitik muss daraufhin überprüft werden, ob sie ein Gleichgewicht zwischen ausreichendem Schutz und der Fähigkeit der Unternehmen, zu skalieren und zu innovieren, herstellt, insbesondere im Vergleich zu chinesischen und amerikanischen Hyperscalern.
  5. Autonomie der globalen Handelsstrategie: Bildung ist das Herzstück einer wohlhabenden Demokratie und es ist besonders wichtig, sie weiter zu fördern, damit Europas Arbeitskräfte für eine digitale und grüne Zukunft gerüstet sind.

Insgesamt ist der digitale Transformationsprozess zu langsam und zu schwach im Vergleich. Derzeit gibt es nur vier digitale Plattformen, die ihren Sitz in der EU haben, der Löwenanteil des Marktes wird von den US-Konzernen Amazon, Alphabet (Google), Microsoft, Meta, Apple und X sowie Tencent, ByteDance, Baidu und Alibaba aus China dominiert. Die europäischen Bürger haben keine große Auswahl, um sich für eine europäische Lösung zu entscheiden. Das Problem liegt nicht nur in der Marktdominanz und dem Vendor-Lock-In, sondern auch in der mangelnden Interoperabilität und den hohen Sicherheitsrisiken.

All dies schmälert die Wachstumschancen Europas und schwächt unsere Wettbewerbsposition. Bislang wurden DMA und DSA durchgesetzt und sollten den Wettbewerb verändern: Aber werden sie auch schnell in Kraft treten können, ohne die Innovation zu ersticken? Die DMA und die DSA, die beide sorgfältig ausgearbeitet sind, um bürokratische Hürden für kleinere Unternehmen zu vermeiden, können eine wichtige Rolle dabei spielen, die enormen wettbewerbsfeindlichen Schranken zu überwinden, die die großen Technologieunternehmen derzeit nutzen, um den Wettbewerb mit europäischen IT-Unternehmen zu unterdrücken.

Dies sind die Risiken, die die Europäische Kommission in Betracht ziehen muss, wenn sie das enorme Potenzial der Cloud-Computing-Dienste (schätzungsweise 200 Mrd. EUR bis 2028) sichern will. Doch der Anteil der europäischen Anbieter ist sogar auf 16% (2021) gesunken, was nicht zuletzt auf die oben erwähnte Abschottung zurückzuführen ist. Dies kann durch eine entschlossene Durchsetzung der neuen Gesetze durch die Europäische Kommission abgemildert werden, aber leider hat die Kommission wenig Appetit gezeigt, ihre IT-Industrie zu verteidigen. Die Kartellbeschwerde gegen Microsoft, die von uns und etwa 40 anderen kleinen IT-Unternehmen in der EU im Jahr 2021 eingereicht wurde, hat immer noch keine wirklichen Maßnahmen nach sich gezogen. Eine der wichtigsten Empfehlungen im Bereich Cloud Computing ist der vorgeschlagene EU-Gesetzesvorschlag zur Cloud- und KI-Entwicklung, der eine "EU-weite Politik und Residenzpflicht für Cloud-Dienste der öffentlichen Verwaltung sowie eine EU-weite Politik für die Sicherheit sensibler Daten bei der Zusammenarbeit zwischen privaten Cloud-Anbietern und Hyperscalern" definiert, um EU-Anbieter zu schützen und zu fördern und einen fairen und wettbewerbsfähigen Markt zu gewährleisten.

Schlussfolgerung

Europa steht heute an einem entscheidenden Punkt: Die digitale Strategie hat wichtige neue Gesetze gebracht, aber die Wirtschaft gerät zunehmend ins Hintertreffen und muss fit gemacht werden, um weiterhin eine Schlüsselrolle auf der globalen Bühne spielen zu können.

Der Draghi-Bericht beleuchtet die drängendsten Fragen und bietet umsetzbare Empfehlungen, wie diese Herausforderungen gemeistert und Europa in eine sichere und prosperierende Zukunft geführt werden kann. Gefragt ist die Fähigkeit, schnelle und agile Entscheidungen zu treffen, um mit China und den USA konkurrieren zu können, sich gegen instabile geopolitische Spannungen zu behaupten und zum Vorbild für eine belastbare digitale Regulierung zu werden. Insgesamt empfiehlt der Bericht, eine dynamischere, widerstandsfähigere und nachhaltigere Wirtschaft in Europa anzustreben, die im globalen Wettbewerb bestehen kann und gleichzeitig soziale Fairness und Umweltverantwortung gewährleistet.

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